Ein großer
Indianerhäuptling, der einst auf unserer Erde wohnte, war Chief See AT - LA. Er war ein kluger Mann und sprach
folgende Worte: „Wir alle sind ein Teil der Erde, und sie ist ein Teil von uns.
Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern. Die Rehe, das Pferd und der große
Adler sind unsere Brüder. Die felsigen Höhen, die saftigen Wiesen, die
Körperwärme des Ponys und des Menschen - sie alle gehören zur gleichen
Familie.“
Nun wird es aber
Zeit, euch einen Freund von mir vorzustellen. Sein Name ist Starker Adler. Er
ist ein echter Indianer. Ihr wisst sicher, dass die Indianer immer besondere
Namen tragen. Jedes neue Familienmitglied wird in einem Clan geboren. Das
heißt, alle Indianer sind noch einmal extra aufgeteilt. Einige gehören zum
Wolfsclan, andere zum Bärenclan, wieder andere zum Adlerclan. Aber jedes Kind
bekommt auch noch einmal seinen eigenen Namen, entweder nach besonderen
Fähigkeiten, Aussehen oder nach einer Aufgabe, die es sehr gut geschafft hat
oder vor der es Angst hat. Mein Indianerfreund hatte seine Familie mit der
Hilfe eines Adlers vor dem Verhungern gerettet. Er durfte sich ab diesem Tag
deshalb „Starker Adler“ nennen. Aber das ist eine andere Geschichte, vielleicht
erzähle ich euch ein anderes Mal davon.
Natürlich gehörte
mein Freund auch zum Adlerclan. Diesen Tieren hörte er schon als ganz kleiner
Junge besonders gerne und aufmerksam zu.
Starker Adler
wohnte jetzt nicht mehr bei seinem Indianerstamm. Nein, er lebte allein in
einem großen Wald, weit weg von seiner Familie. Aber einsam war er nie. Sein
Pferd und die Tiere des Waldes waren seine Freunde und besuchten ihn jeden Tag.
Das war aber nicht
immer so.
Starker Adler lebte
einst auch unter vielen anderen Indianern. Er hatte eine Frau, ihr Name war
Lebhafter Frosch. Die beiden hatten auch ein Baby. Das kleine Mädchen hieß
Dakota. Eines Tages war das Kind plötzlich verschwunden. Die Eltern und der
ganze restliche Indianerstamm suchten es wochenlang in der großen Prärie, dem
weiten Land, indem sie lebten. Durch Rauchzeichen gaben sie sogar den anderen,
weit entfernt lebenden Indianerstämmen Bescheid. Niemand fand das Baby. Eines
Tages rief ihn der Häuptling, sein Vater, zu sich. „Starker Adler, du musst
jetzt sehr tapfer sein. Wir und unsere Brüder können deine Tochter nicht
finden. Du musst sie selber suchen. Deine Reise wird lang und anstrengend
werden. Du bekommst von mir Südwind, meinen besten und stärksten Hengst. Folge
deinem Herzen und höre auf dein Gefühl. Du wirst niemals alleine sein. Dein
Krafttier, der Adler wird dich immer begleiten. Horche mit der Stimme deines Herzen
auf ihn, er wird dich beschützen und führen. Der Adler wird dir auch zeigen,
wohin dich diese Reise führt und wann du irgendwo Halt machen sollst. Beachte
ihn immer, dieses Wesen des Himmels, dann wirst du Dakota irgendwo finden.“
Voller Ehrfurcht
zog sich Starker Adler zurück. Er fragte nicht, warum ihn sein Vater auf diese
Reise schickte. Das Wort eines Häuptlings wurde nicht angezweifelt. Er lief
hinüber zu seinem Wigwam, dem Haus der Indianer, und erzählte Lebhafter Frosch
von dem Gespräch. Gleichzeitig versprach er ihr, nicht ohne Dakota
zurückzukommen. Sie weinte ein bisschen, aber sie vertraute ihm, deshalb ließ
sie ihn auch fort. Starker Adler schwang sich auf den Rücken des schönen, roten
Pferdes Südwind.
Plötzlich trat
seine Mutter neben ihn. „Beginne deine Suche mit offenem Herzen, mein Sohn und
Sohn des Adlers. Zweifle niemals an dir.“ Bei diesen Worten sah sie ihn direkt
an. Ihr Blick erwärmte augenblicklich sein Herz. „Lass dich von der Sonne und
dem Mond führen. Folge deinem Krafttier.“
Starker Adler
nickte, streichelte ihr übers Haar und wollte das Pferd wenden. Ihre Stimme
hielt ihn jedoch davon ab.
„Aber eins möchte
ich dir noch mit auf dem Weg geben. Du wirst es nicht alleine schaffen, Dakota
zu finden.“
Fragend sah er zu
ihr hinunter. Sie holte tief Luft. „Dir wird jemand begegnen, der anders ist
als wir. Ihr Haar wird ein Flammenmeer sein, glühend rot. Du wirst
sie zuerst nicht verstehen, aber vertraue ihr. Nur mit ihrer Hilfe wirst du
dein Ziel erreichen. Sie wird dafür sorgen, dass du in unsere Welt zurückkehren
wirst.“ Sie setzte das warme Lächeln auf, das er so an seiner Mutter liebte.
„Nun breite deine Flügel aus, mein Sohn. In Gedanken bin ich immer bei dir.“
Die Worte seiner Mutter ergaben keinen Sinn für
ihn. Aber er vertraute ihr, denn seine Mutter war eine sehr kluge Frau.
Schweren Herzens ritt er davon.
Er ritt lange Zeit
durch das ganze Land, ohne dass irgendjemand etwas von Dakota gesehen oder
gehört hatte. Immer wieder schaute er nach oben. Sein Adler zog Kreise über
seinen Kopf, flog aber immer weiter davon. Starker Adler folgte ihm schweigend.
Eines Tages führte
ihn sein Weg durch einen Wald. Von oben hörte er jetzt ein ungewöhnlich lautes
Geräusch. Als er hochsah, erblickte er den Adler, der nun laut kreischend hoch
oben in engen Kreisen flog. Irgendetwas wollte ihm das Tier sagen! Plötzlich
wehte eine weiße Feder zu ihm herab. Der Adler flog noch ein letztes Mal über
seinen Kopf hinweg, und dann verschwand das Tier. Starker Adler hielt an, stieg
von seinem Pferd, hob die Feder auf und steckte sie sich ins Haar. Sein Herz
wusste plötzlich, was der Adler ihm damit sagen wollte. Die Adlerfeder war ein
Zeichen dafür, hier im Wald zu bleiben. Bald würde Starker Adler eine Antwort
bekommen, wo er seine Tochter finden könnte, das fühlte er genau.
So begann er, eine
Hütte am Fluss zu bauen. Er sammelte Beeren und Kräuter und konnte Fische
fangen. Sein Pferd hatte genug Gras, um sich satt zu fressen. Er wurde eins mit
der Natur - er wurde ein Teil von ihr. Starker Adler behandelte einen Stein wie
eine Pflanze, eine Pflanze wie ein Tier und ein Tier wie einen Menschen.
Eines Tages sah er
plötzlich die junge Frau mit den roten Haaren, von der seine Mutter gesprochen
hatte, im Wald spazieren gehen. Starker Adler erstarrte. Ihr Haar sah genauso
aus, wie seine Mutter es beschrieben hatte! Erstaunt schlich er nahe an sie
heran, versteckte sich hinter einem Baum und beobachtete die Fremde. Sie trug
ein grünes Kleid, hatte sehr helle Haut und flammendrote Haare. Haare wie die
Farben des Feuers! Ihre wilden Locken fielen ihr immer wieder ins Gesicht, als
sie Wildkräuter vom Wegrand pflückte und in ihr Körbchen legte. Eine Indianerin
war sie auf keinen Fall. Dabei lief sie, genau wie er selber, barfuß durch den
Wald. Und sie sammelte Kräuter wie die Frauen bei ihm zu Hause. Sie musste also
auch Ahnung davon haben, was man mit Pflanzen aus der Natur alles anfangen
konnte. Nun fing sie an zu singen. Er verstand ihre Sprache nicht, aber ihre
Stimme klang wie eine helle Glocke.
Nachdem er sie noch
eine Weile beobachtet hatte, schlich er lautlos rückwärts, wie nur ein Indianer
schleichen konnte. Sie sollte ihn nicht bemerken. Plötzlich sah sie jedoch in
seine Richtung. Er blieb angespannt hinter dichtem Gebüsch stehen. Ihren Gesang
unterbrach sie nicht. Sie schien ihn nicht zu sehen. Nach einer Weile drehte
sie sich wieder um und folgte dem Weg, fort von ihm.
Starker Adler ging
zu seinem Pferd zurück, aber er konnte die seltsame Frau mit den roten Haaren
nicht vergessen. Jeden Tag versuchte er jetzt, sie zu finden. Eines Tages sah
er sie tatsächlich wieder. Sie lag im Gras und schien zu schlafen. Langsam
schlich er näher an sie heran und berührte vorsichtig ihr rotes Haar. So etwas
hatte er in seinem Leben noch nie gesehen. Er kannte nur die schwarzhaarigen
Frauen in seinem Stamm.
Plötzlich schlug
die Frau die Augen auf und hielt ihn am Ärmel fest. Erschrocken wollte Starker
Adler flüchten, aber dann wäre er ja feige gewesen. Die Frau lächelte ihn an
und zeigte mit dem Finger auf sich selber. "Ich bin Wanda.“ Dabei ließ sie
ihn los. Starker Adler verstand, was sie ihm sagen wollte. Er zeigte auf sich
selber und sagte laut: „Starker Adler.“
Damit begann eine
tiefe Freundschaft zwischen Wanda, der weißen Hexe, und dem Indianer Starker
Adler. Jeden Tag trafen sie sich nun und lernten voneinander. Wanda brachte ihm
Worte aus ihrer Sprache bei. Dabei zeigte sie auf passende Gegenstände, damit
er wusste, was sie meinte. Sie zeigte ihm auch ihre Gewohnheiten, sie nannte es
Rituale, um viel Gutes zu tun. Starker Adler lehrte sie seine Sprache. Er
zeigte ihr auch, wie man mit dem Herzen spricht. Starker Adler brachte Wanda
bei, wie ein Indianer die Sprache der Tiere verstand, also auf die
Körpersprache der Tiere achtete. Beide, Wanda wie auch Starker Adler, lernten
schnell und mit Freude voneinander.
Im Laufe der Zeit
konnte er ihr erzählen, warum er hier war. Wanda erklärte ihm, sie würde als
weiße Hexe ihre magischen Fähigkeiten einsetzen und ihm helfen, seine Tochter
wieder zu finden. Sie konnte ihre Zauberkarten fragen oder einen Blick in ihren
Zauberspiegel werfen. Vielleicht würde sie auf diesem Wege Antworten finden.
Leider brachten weder Wandas Spiegel noch ihre Karten die gewünschten Hinweise.
Starker Adler bedankte sich bei ihr, aber diese Art, in die Zukunft zu schauen,
verstand er nicht.
„Es ist seltsam.
Mein Spiegel bleibt dunkel und meine Karten sagen, wir können deine Tochter nur
auf deinen Weg finden. Was meinen sie nur damit?“
Starker Adler hob
den Kopf in den Wind und ging einfach davon. Er wusste, nur er selber würde den
Weg zu Dakota finden, aber er würde Wandas Hilfe brauchen.
Doch seine neue
Freundin gab nicht auf. Eines Tages hielt ihm Wanda einen roten Stein entgegen.
"Lass uns deine Tochter mithilfe der Steinmagie suchen. Ich schenke dir
diesen Stein. Er steht mit dem Element Feuer in Verbindung. Er wird uns helfen,
eine gute Idee zu bekommen.“
Starker Adler
faltete vorsichtig ihre Finger mit dem Stein darin zu einer Faust. Sie versuchte
es noch einmal. "Du brauchst vor meiner Magie keine Angst zu haben. Magie
ist schon im Spiel, wenn ich die Energie meines Geistes, Gefühls und Verstandes
auf ein Ziel richte. Mein Ziel ist es, deine Tochter zu finden.“
Starker Adler sah
ihr fest in die Augen, dann schüttelte er stolz den Kopf. "Nein, es ist
meine Tochter, also muss ich den Weg zu ihr selber finden.“ Im gleichen
Augenblick, als er seine Worte ausgesprochen hatte, bereute er sie. Er merkte
selber, dass er Wanda gegenüber ein wenig schroff war. Versöhnlich strich er
ihr über den Arm und sagte: “Ich, als ihr Vater, habe von dem großen Manitu ein
Zeichen bekommen.“
Wanda nickte und
lies ihn aussprechen. „Diese Nacht ist mir im Traum wieder der Adler
erschienen. Er trug eine rote Locke in seinem Schnabel. Die Locke hatte die
Farbe deiner Haare.“
Wanda lächelte
erfreut. Starker Adler sah sie jetzt ernst an. „Du bist nun soweit. Du
verstehst die Sprache der Tiere.“ Wanda streckte verlegen ihre Hände hinter
ihrem Rücken. Sie wurde sogar ein bisschen rot im Gesicht und senkte ihren
Blick zu Boden. „Wenn du mir wirklich helfen möchtest, dann komm mit mir zu dem
Ort, an dem die Krafttiere leben. Nur sie wissen die richtige Antwort. Aber ich
brauche deine Hilfe, um wieder zurück in die Wirklichkeit kommen zu können.“
Sofort wollte Wanda
ihm zustimmen, aber er legte ihr vorsichtig den Finger vor dem Mund. „Es könnte
sein, das mich meine Trauer dort behält, in diesem unbekannten Land. Dort ist
alles so friedlich und wunderschön, alle sind Freunde. Es gibt dort keinen Hass
oder Feindschaft.“ Nun war es an Starker Adler, seinen Blick verlegen zu Boden
zu senken. "Ich habe Zweifel an mir selber, dass ich aufgeben und einfach
für immer dort bleiben möchte. Das ist die Welt meiner Magie.“
Wanda verstand nahm seine Hand in ihre.
"Wofür sind Freunde da? Ich lasse dich nicht im Stich und vertraue dir,
auch wenn ich nicht weiß, wohin uns dieser Weg führt. Lass uns gehen, jetzt
sofort. Was muss ich tun?“
Starker Adler
seufzte erleichtert auf. Neuer Mut erfasste ihn. „Komm mit zu meiner Hütte.“
Mit diesen Worten stand Starker Adler auf und ging davon. Wanda folgte ihm
leise.
Es dauerte nicht
lange, und sie sahen sein Zuhause. Starker Adler ging daran vorbei und lief auf
den Fluss zu. Wanda folgte ihm. Er stapfte ins Wasser und fing an, seinen
Körper zu säubern. "Den Körper zu baden ist nicht genug, die Reinigung ist
dann unvollständig. Lerne auch, deinen Geist in ruhigen Gewässern der Stille zu
waschen.“
Wanda verstand ihn.
Ab jetzt sagte sie kein Wort mehr.
"Der große
Geist liebt alle Geschöpfe der Erde.“
Wieder nickte Wanda
nur mit dem Kopf.
Nachdem sie sauber
genug waren, führte Starker Adler sie hinter seine Hütte. Dort sah Wanda eine
Lichtung. Ein Sonnenstrahl erhellte diesen Platz. Es war friedlich und ganz
still. Selbst die Tiere des Waldes schienen zu spüren, wie wichtig dieser
Moment war.
Starker Adler setzte
sich im Schneidersitz auf den Boden. Wanda ließ sich ihm gegenüber nieder. Dann
zog er seine weiße Feder aus seinem schwarzen Haar und steckte sie ihr in ihr
rotes. "Die Feder wird unsere Verbindung sein. Mit geschlossenen Augen
kannst du meinem Gesang und meinen Worten folgen.“
Wanda tat, was er
sagte. Sie spürte nun seine Gegenwart und war bereit, ihm bedingungslos zu
folgen. Es dauerte nicht lange und er begann, zu singen. Es war mehr ein
Singsang, seine Stimme wurde erst lauter, dann leiser. Beide fühlten, wie sie
sich entspannten. Dann beendete Starker Adler seinen Gesang. Wanda musste gut
zuhören, um ihn verstehen zu können.
"Stell dir
nun vor, du liegst auf einer Wiese. Die Sonne scheint, es ist warm. Steh jetzt
auf. Siehst du die Bäume dort drüben? Folge mir bis zum Wald. Ja, so ist es
gut.“ Obwohl beide die Augen geschlossen hatten, spürte er, wie Wanda neben ihm
über diese nur in ihrer Fantasie existierende Wiese schritt. Selbst den Wald
konnten sie gemeinsam sehen. "Jetzt lauf hinter mir her, folge mir auf dem
Pfad durch den Wald."
"Gleich
werden wir zu einem großen Baum gelangen. Unter seinen Wurzeln ist ein Eingang.
Dort kriechen wir in die Erde hinein. Hab keine Angst, dort sind wir in
Sicherheit. Wenn der Gang zu Ende ist, werden wir bei den Krafttieren sein. Wir
suchen ein Helfertier, das uns zu meiner Tochter Dakota führen wird. Das schaffen
wir.“ Im Geiste hatte Starker Adler diese Reise schon oft getan. Er erkannte
den Baum, den Eingang und den Tunnel. Er schlängelte sich unter dem Baum durch
den Tunnel tief in die Erde hinunter. Obwohl es hier unten sehr dunkel und eng
war, verspürte er keine Angst. Nach einiger Zeit sah er das Licht. Der Tunnel
endete in wenigen Metern. Er sah in ein weites Tal hinunter, indem viele
verschiedene Tierarten nebeneinander liefen, krochen oder flogen. Starker Adler
spürte Wanda direkt neben sich. Viele Tiere liefen und flogen auf sie zu,
jedoch blieb keins von ihnen in ihrer Nähe. Starker Adler bat um ein Krafttier,
das zu ihnen kommen und Antworten geben würde.
Plötzlich flog
eine Eule zu ihnen hinüber und setzte sich auf Wandas Arm, dabei sah sie dem Indianer
direkt in die Augen. "Ich weiß, wen ihr sucht. Deine Tochter Dakota. Sie
ist bei der Schwarzen Waikiki.“ Jetzt rollte die Eule mit ihren Augen und sah
zu Wanda hinüber. "Wanda kennt diese böse, alte Hexe.“
Völlig verwundert
darüber, dass eine Eule zu ihnen kam und ihren Namen kannte, hörte Wanda still
zu.
„Sie, die Schwarze Waikiki, war vor langer Zeit einmal mit
einem Indianer zusammen. Er wollte sie zu seiner Frau machen.“ Jetzt sprang die
Eule auf Starker Adlers Schultern und beugte sich bis kurz vor seinem Gesicht
vor. „Es war dein Onkel, euer großer Schamane.“
Sie plusterte sich
wichtigtuerisch auf. „Aber diese Frau war schon immer eine böse Hexe. Sie hat
ihn von Anfang an betrogen und belogen.“ Jetzt legte die Eule eine Pause ein
und begann, sich das Gefieder zu putzen. Die Nerven des Indianers waren zum
Zerreißen gespannt. Deshalb berührte er kurz den zarten Vogelkörper. "Was
willst du mir damit sagen?“ Sie schüttelte sich erst einmal ausgiebig, bevor
sie weiter fortfuhr. „Nachdem der Schamane ihre bösartige Seele durchschaut
hatte, verbannte er sie aus eurem Stamm. Aber die Schwarze Waikiki schwor
Rache.“
Wanda drückte sich
vor Aufregung ihre Fingernägel ins eigene Fleisch. Nun hüpfte die Eule zu ihr
hinüber, riss ihre großen Augen noch weiter auf und sprach dramatisch: „Nie war
sie wirklich fort, immer hielt sie sich in der Nähe auf.“ Die Eule konnte ihre
Augen tatsächlich noch weiter aufreißen. „Sie wollte sich aus Rache für ihre
Vertreibung das erste Mädchen holen, das geboren wurde und unter dem
persönlichen Schutz des Schamanen stand.“ Jetzt schaute sie zu Starker Adler
hinüber und machte sich in seine Richtung ganz lang. „In diesem Fall war es
deine Tochter, Starker Adler. Der Tag naht, an dem Dakota zur bösen Hexe
gemacht wird. Das geschieht sehr bald. Wenn ihr sie retten wollt, dann müsst
ihr jetzt gehen und sie von der Schwarzen Waikiki fortholen.“ Aufgeregt
flatterte sie vor den Augen der beiden auf und nieder. „Noch ist nichts
verloren, ihr seid rechtzeitig zu uns Krafttieren gekommen. Falls ihr nicht
weiter wisst, folgt der weißen Feder. Macht euch auf den Weg zu ihr, sonst
werdet ihr Dakota nie wiedersehen … nie wiedersehen … nie wiedersehen.“ Dann
flog die Eule davon.
Starker Adler und
auch Wanda spürten, wie ihnen die Zeit davonlief. Wanda fühlte noch etwas.
Trotz der schlimmen Situation wollte Starker Adler nicht zurück. Eine Schwärze
legte sich langsam um den Körper von Starker Adler. Er wollte aufgeben, wollte
für immer hier bei den Krafttieren bleiben. Er schien dies alles nicht zu
verstehen, und eine Traurigkeit breitete sich in ihm aus, die sogar Wanda
deutlich spürte. Starker Adler dachte, er hätte seine Tochter für immer
verloren. Er war ein sehr mutiger Krieger der Indianer, aber er wusste nicht,
wie er gegen eine Hexe kämpfen sollte.
Wanda wusste, dass
sie jetzt für ihren Freund stark sein musste. Irgendetwas würde ihr schon
einfallen, um Dakota aus den Fängen der gemeinen Schwarzen Waikiki zu befreien.
Angestrengt schubste sie Starker Adler nun vor sich her und drückte seinen
Körper zurück in den Tunnel. Sie krabbelten durch den Erdgang wieder zurück.
Die Schwärze, die seinen Körper wie ein Spinnennetz umzogen hatte, löste sich
langsam auf. Als sie unter der Wurzel des Baumes hervorgekrochen kamen, war mit
Starker Adler alles wieder gut. Er sah sie dankbar an, nahm sie an der Hand und
gemeinsam rannten sie den Waldweg zur Wiese zurück.
Dort vernahm sie
wieder seine Stimme. "Leg dich auf die Wiese und folge meiner Stimme
zurück in die Wirklichkeit.“ Sein Gesang setzte ein und es dauerte nicht lange,
bis sie ihre Augen wieder öffnen konnte. Starker Adler saß ihr gegenüber und
sah sie an. "Hast du das Gleiche gehört wie ich?“
Wanda nickte mit
dem Kopf. "Ja, ich weiß, wo deine Tochter ist. Bei einer wirklich schrecklichen
Hexe namens Schwarze Waikiki. Zu Fuß werden wir drei Tage brauchen, um dort zu
sein."
Er schüttelte den
Kopf und stieß einen Pfiff aus. Kurz darauf trabte sein rotes Pferd auf sie zu.
Es hielt sich gerne hinter der Hütte am Fluss auf. "Mein Pferd Südwind ist
stark genug, uns beide zu tragen. Lass uns sofort losreiten. Hast du auch
gehört, das wir den weißen Federn folgen sollen?“ Wanda schwang sich hinter ihm
auf das Pferd.
Während sie hinter
ihm auf dem Pferderücken sprang, antwortete sie nur mit ernsten Worten:
"Ja, wir müssen durch das Gebiet der Adler, dort wohnt die Schwarze
Waikiki, erzählt man sich in Hexenkreisen.“ So ritten sie los. Es war das erste
Mal, dass Wanda auf einem Pferd ritt und nicht wie sonst, auf ihren Besen.
Einmal verirrten
sie sich tatsächlich kamen vom Weg ab. Aber da erschien ihnen plötzlich ein
Adler, umkreiste ihre Köpfe und zeigte ihnen den richtigen Pfad. Noch einmal
ließ er eine Feder fallen. Wanda fing sie auf. Starker Adler wusste jetzt, sie
ritten wieder in die richtige Richtung. Diese Feder hatte der Adler ihnen für
Dakota geschenkt.
Dann wurde der Pfad
eng. Dicke Steine lagen auf dem Boden, schwarze Felswände versperrten die
Sicht. Es wurde dunkel und sehr kalt. Wanda und Starker Adler stiegen ab, und
er führte das Pferd. "Es ist nicht mehr weit. Hinter der nächsten
Felswandwerden wir sie sehen.“ Wanda sollte recht behalten. Aber bevor sie
etwas sehen konnten, hörten sie den abscheulichen Gesang der bösen Hexe.
„HEXEN
SIND BÖSE HEXEN SIND HÄSSLICH - HEXEN
SIND ALT HEXEN SIND GRÄSSLICH. HEXEN SIND JA SO GEMEIN - SIE KÖNNEN NUR DEINE FEINDE SEIN. HEXEN
ZAUBERN DIE MASERN DIR - HEXEN
VERZAUBERN MENSCH UND TIER. HEXEN REITEN AUF DEN BESEN - TREIBEN NACHTS IHR UNWESEN. HEXEN MIXEN SICH
GIFTIGE KRÄUTER - ZAUBERN DER KUH MILCH
AUS DEM EUTER. HEXEN SIND MIT DEM TEUFEL IM BUND - HEXEN SIND FÜR ALLES ÜBLE
DER GRUND!!!!!“ Danach hörten Wanda und Starker Adler ein gemeines
Lachen.
Als sie vorsichtig
um die Felswand sahen, erblickten sie auch das kleine Mädchen. Wortlos hielt
Dakota einen Eimer in der Hand, schaute kurz zu der Hexe hinüber und
schleuderte ihn der Schwarzen Waikiki jetzt entgegen. Das Mädchen schien keine
Angst vor ihr zu haben. Die Hexe lachte aber nur noch lauter. „Sei nur schön frech,
du Balg. Heute Abend ist es soweit, dann wirst du von mir verwandelt und
gehörst ganz alleine miiiir!“
Starker Adler
wollte losstürmen. Wanda reagierte blitzschnell. Sie hielt ihn so stark am
Ärmel fest, dass der Stoff riss. "Warte bitte noch einen Augenblick, jetzt
kann uns nur noch meine Magie weiterhelfen. Wenn ich gleich mit meinen Worten
ihren Zauberspruch verändere, werde ich sie gleichzeitig bannen. Das bedeutet,
sie erstarrt für sieben Monate zu Stein. Stürmst du zu früh los, kann ich dir nicht
helfen, auch du wirst versteinern. Warte, bis meine Worte sie erreichen, dann
läufst du los und holst deine Tochter. Wenn du sie hast, steige mit ihr sofort
auf das Pferd und verlasse diesen düsteren Ort. Mach dir um mich keine Sorgen,
wir treffen uns an deiner Hütte.“
Wanda begann mit
ihrem Verwandlungsspruch: „DOCH DAS IST JA ALLES NICHT WAHR! HEXEN
SIND KEINE SCHLIMME GEFAHR. HEXEN SIND MEIST NUR WEISE FRAUEN - MAN SAGT - SIE KÖNNEN IN DIE ZUKUNFT SCHAUEN.
HEXEN SIND FREUNDLICH - HEXEN SIND GUT -
HEXEN SIND KEINE TEUFELSBRUT. HEXEN HEILEN -
HELFEN - LINDERN - KÖNNEN SCHMERZEN RASCH VERMINDERN.SIE NUTZEN
DIE KRÄFTE DER NATUR - DER KRÄUTER AUS
WALD UND WIESENFLUR. SIE WISSEN DIE KRAFT DES MONDES ZU SCHÄTZEN UND SIE FÜR
IHRE KRÄFTE EINZUSETZEN. DRUM HAB VOR HEXEN KEINE ANGST. FALLS DU JE ZU EINER
GELANGST - SCHAU IHR BEI DER ARBEIT ZU
- DANN LERNST AUCH DU NOCH VIEL DAZU.
Nun mach das Schlechte zu was Rechtem - im Steine soll sie sieben Monate
knechten. So sei es - so sei es - so sei es!“
Während der Wind
Wandas Worte zu der Schwarzen Waikiki wehte, drehte sich diese für einen
winzigen Augenblick um und schaute zu der Felswand hinauf. Sie spürte, dass
etwas geschehen würde. Blitzschnell versuchte sie nun, zu Dakota zu hechten, um
sie an sich zu reißen. Kurz bevor sie das Kind jedoch erreicht hatte, stürzte
sich plötzlich ein riesiger Adler zwischen die beiden. Er krallte sich in den
Schultern des Kindes fest und brachte es ein Stück von der Hexe fort. Diese
fiel heftig zu Boden. Wütend drehte sie sich aber noch einmal um und hob die
Hände zur Felswand. „Potz Blitz und starker Regen, so was darf es bei mir nie
geben!“
Sofort kamen
schwarze Strahlen aus ihren Händen, die sie direkt auf Dakota und den Adler
richtete. Aber bevor die bösen Hexenstrahlen die zwei erreichen konnten, griff
Wandas Verwandlungsspruch ein. Es zischte, als wenn jemand Wasser auf eine
Feuerstelle schüttete. Sofort danach wallte ein lilatürkisfarbender Nebel auf,
der Wanda und Starker Adler die Sicht versperrte. Wanda hatte sich vor
Aufregung in Starker Adlers Arm festgekrallt. Niemand von beiden sprach ein
Wort, beide hatten zu viel Angst, was dort unten wirklich passiert war. Keine
Sekunde zu früh traf ihr Spruch ein.
Als der Nebel sich
endlich lichtete, konnten sie alles sehen. Dakota lag auf dem Bauch, hatte ihre
Arme verschränkt und schien zu weinen. Die Schwarze Waikiki jedoch lag, wie sie
gefallen war. Es war ein wirklich seltsames Bild. Regungslos hatte sie ihre
Arme nach oben gereckt, aber ihr böser Zauber hatte ihr nicht geholfen. Sie war
zu Stein verwandelt worden, genau wie Wanda es gewollt hatte. Die böse Hexe kam
gegen Wandas gute Hexenkräfte nicht an.
Jetzt hielt nichts
und niemand Starker Adler davon ab, endlich nach unten zu seiner Tochter zu
laufen. Wanda beobachtete, wie er sie vorsichtig hochnahm und an sich drückte.
Das Kind schlang seine Arme um den Indianer und vergrub den Kopf an seiner
Schulter.
Als Starker Adler
mit Dakota auf dem Arm endlich bei Wanda ankam, legte sie ihm nur seine Hand auf
seinen Arm. „Nun ist es endlich
vollbracht.“ Mit diesen Worten steckte sie Dakota die zweite weiße Feder ins
Haar. Starker Adler brachte in diesem Moment kein Wort heraus. Wanda verstand
seine Dankbarkeit auch so.
Er schwang sich
mit Dakota auf Südwind, der sie beide davontrug. Den schweren Weg zurück schien
das Pferd spielend zu schaffen, es flog wie der Wind davon.
Wanda rief ihren
Besen und flog ebenfalls davon. Wenn sie schnell aus dem Gebiet der Schwarzen
Waikiki heraus war, konnten ihr die Erinnerung an die böse Hexe auch nichts
mehr anhaben.
Starker Adler war
mit Dakota schon an der Hütte. Er hielt sie im Arm und weinte. Auch Dakota
schien überglücklich, ihren Vater wieder zu sehen. Die Hexe hatte ihr nie
beigebracht, zu sprechen. Aber das würde Dakota schnell lernen, wenn sie erst
wieder zu Hause war und sich ihre Familie um sie kümmern konnte.
Wanda schickte
ihren Besen wieder fort, sie wollte weder Starker Adler noch das Kind
erschrecken.
Er sah sie auf sich
zu kommen und drehte seine Tochter zu ihr um. "Siehst du, Dakota, das ist
meine Freundin Wanda.“ Das Kind lächelte sie schüchtern an. „Sie ist so ganz
anders als wir und doch so gleich. Es ist egal, wie alt ein Mensch ist, welchen
Stamm er angehört oder wie er aussieht.“
Wanda wollte im
ersten Moment fragen, ob Dakota ihren Vater sofort erkannt hatte. Aber sie
schwieg. In diesem Augenblick schmiegte sich das Mädchen fest an seinen Körper.
Sie musste es gespürt haben! Wanda lächelte. Wahre Liebe kann man auch ohne
große Worte spüren und fühlen. Sie lauschte weiter seinen Worten. „Es ist noch
nicht einmal wichtig, welche Sprache wir sprechen. Freundschaft kennt keine
Grenzen.“
Starker Adler nahm
seine Tochter jetzt an die Hand und hielt seine andere Wanda entgegen. Sie ergriff
sie sichtlich gerührt. „Wenn du einen Menschen als wahren Freund oder Freundin
des Herzens bezeichnen kannst, bist du der reichste Mensch der Welt. Dann
kannst du alles erreichen und nichts wird dich aufhalten.“ Starker Adler
drückte Wandas Hand ein wenig zu fest. "So eine Freundin haben wir in
Wanda gefunden.“ Er ließ ihre Hand nun los und stellte sich selbstbewusst vor
Wanda, dabei legte er seinen Arm über seine Brust. „Wie kann ich dir nur
danken, Freundin der Magie und der Natur?“ Wanda lächelte ihn an. In dieser
Position hatte sie sich immer einen echten Indianer vorgestellt.
Ihr warmes Lächeln
glich jetzt dem seiner Mutter. "Bring deine Tochter sicher nach Hause und
sei gut zu ihr.“ Ehrfurchtsvoll betrachtete er Wanda noch ein letztes Mal.
"Der Geist der Natur soll dich mit seinen Wohltaten überschütten - an
jedem Tag deines Lebens.“
Dann pfiff er nach
Südwind, schwang sich hinauf und zog Dakota liebevoll vor sich hoch. Dabei fiel
Wanda noch etwas ein. Sie hatte noch die weiße Feder! Schnell hielt sie diese
den beiden auf dem Pferd entgegen.
Starker Adler schien
ihre Gedanken zu erraten. Er wollte ihr eine besondere Erinnerung schenken.
„Diese Feder sei dein.“ Er ritt ganz nahe an sie heran und nahm ihr die Feder
aus der Hand. „Es ist ein Geschenk des Adlers für dich. Die Feder soll dich an
unsere gemeinsame Zeit erinnern. Sie will dir Danke sagen, Kind der Erde!“
Während seiner
Worte steckte er Wanda die Feder in ihr feuerrotes Haar. „Wir gehen in Frieden
auseinander, feiern die Reise! Ich verstehe es nun, nahe dem Land zu sein, auf
dem wir alle laufen.“ Er vollführte mit seinem Arm eine ausgiebige
Handbewegung, die ihre ganze Umgebung einschloss. Dann legte er die Hand auf
sein Herz. „Fühle es, wisse es, liebe und höre es. Das Land, die Tiere und die
Natur sind unsere Lehrer. Wir alle gehören zu dem Kreis des Lebens, sind eins
auf Mutter Erde. Daran glauben wir Indianer.“ Er schaute sie noch ein letztes
Mal an, dann wendete er sein Pferd und ritt davon.
Wanda schaute ihnen
noch lange nach. Dann berührte sie behutsam ihr Haar. "Eine weiße Feder
für mich.“ Sie spürte, wie bedeutungsvoll sein Geschenk war.
Der Indianer
Starker Adler, seine Tochter Dakota und die Hexe Wanda sahen sich nie wieder,
aber sie trugen sich und ihre gemeinsamen Erinnerungen immer in ihren Herzen.
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